Yzchok-und-Rita-Gerszt-Gedenktafel

In der Woche vom 19.-25. Juni 2008 war auf Einladung des Vereins zur Erforschung der Sozialen Bewegung im Wuppertal e.V. Stephanie Douglas-Furman, die Tochter der Wuppertaler Widerstandskämpfer  gegen das NS-Regime, Yzchok und Rita Gerszt, zu Gast in Wuppertal.1 Der Kontakt zu ihr war über den Historiker Stephan Stracke zustande gekommen, der während seiner Forschungen2 zu den Wuppertaler Gewerkschafts-prozessen auf das Schicksal des kommunistischen und jüdischen Ehepaars gestoßen war und zufällig im Internet die Adresse der Tochter gefunden hatte.3 Im fernen Oregon in den USA war man natürlich überrascht und zunächst auch skeptisch, wie denn das Land der Täter heute mit ihnen umgehen würde. Zusammen mit ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn wagte Stephanie Douglas-Furman die Rückkehr in ihre Geburtsstadt, in der ihren Eltern so viel Unrecht widerfahren war. Während ihrer Zeit in Wuppertal nahm Stephanie Douglas-Furman an der Gedenkfeier am Mahnmal des KZ Kemna teil und besuchte auch ihr altes Wohnhaus in der Reiterstraße Nr.3.4 In diesem Rahmen wurde im Juni 2008 eine Gedenktafel für ihre Eltern gegenüber des Hauses angebracht.


Die Gedenktafel für Yzchok und Rita Gerszt. Fotografiert am 5. Februar 2012.

Die Gedenktafel zeigt unter der Überschrift:

 „In Erinnerung an die
Wuppertaler WiderstandskämpferInnen
Yzchok und Rita Gerszt.

eine Fotografie des Ehepaars und erklärt: „[Linke Spalte]

Die Familie lebte mit ihrer Tochter Stephanie bis 1936 in der Reiterstraße 3.
Yzchok und Rita Gerszt waren im jüdischen Arbeiter-Kulturverein und in der KPD organisiert und beteiligten sich am Widerstandskampf gegen die Nationalsozialisten.
Yzchok Gerszt wurde am 30.Juni 1936 verhaftet und in den „Wuppertaler Gewerkschaftsprozessen“ zu 4 Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Haft im Zuchthaus
Siegburg wurde er nach Ausschwitz deportiert. Dort wurde er auf dem Todesmarsch am 13.Januar 1943 ermordet.
Rita Gerszt floh mit ihrer 5 jährigen Tochter nach Belgien, wurde dort aber von der Gestapo verhaftet. Das 5 jährige Kind Stephanie Gerszt konnte rechtzeitig weglaufen und überlebte das dritte Reich versteckt in Waisenhäusern in Belgien. Rita Gerszt wurde u.a. im KZ Ravensbrück inhaftiert und am 29.Mai 1942 in der Vergasungsanstalt Bernburg vergast.“


Eine ausführlichere Biographie findet sich im offenen Bürgerantrag des Vereins zur Erforschung der sozialen Bewegung zur Umbenennung der Treppe an der Reiterstraße (s.u.):


Demnach kam der am 16.Oktober 1901 in Polen geborene Yzchok Gerzst 1920 nach Deutschland. Er arbeitete als Schneider und Reisender (Vertreter) für eine Herrenschneiderei und machte sich später mit einer Lohnschneiderei selbstständig. 1924 trat er in die Kommunistische Partei ein und engagierte sich im Vorstand des jüdischen Arbeiter-Kultur-Vereins, der seinen Sitz an der Klotzbahn hatte. Ab 1931 arbeitete er unter anderem mit den Wuppertaler Widerstandskämpfern Ewald Funke,
Jukiel Gilberg, Karl Ibach und Friedrich Senger im AM-Apparat (Abteilung Militärpolitik) der KPD.5 Der AM-Apparat war die nachrichtendienstliche Organisation der KPD, die von den Verhaftungswellen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten kaum betroffen war und im Untergrund weiter gegen das NS-Regime kämpfte. 6 Zu den Aufgaben Gerszts gehörte es zum Beispiel Kontakte zu antinazistischen Polizeibeamten aufzunehmen. Ab 1933 organisierte das Ehepaar Geldsammlungen bei jüdischen Sympathisanten zur Finanzierung der AM und Treffen des illegalen Apparats. Am 30.Juni 1936 wurde er bei der dritten Verhaftungswelle im Rahmen der Gewerkschaftsprozesse verhaftet7 (zu den Prozessen siehe auch den Eintrag zum Mahnmal zur Erinnerung an die Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse). Der gesamte AM-Apparat wurde von der Gestapo zerschlagen.8 Aussagen von anderen Häftlingen belasteten Gerszt und er wurde vom Oberlandesgericht Hamm zu 4 Jahren Gefängnis verurteilt, die er zunächst in Herford und Siegburg verbrachte.


Rita Gerszt blieb mit der vier Monate alten Tochter Stephanie zurück und musste allein die um sich greifende Demütigung, Ausgrenzung und Terrorisierung der jüdischen Bevölkerung ertragen. Am 30.Juni 1939 erhielt sie einen Ausweisungsbescheid. Die Bitte, ihren Mann vorzeitig zu entlassen, um mit ihm und dem Kind in die USA auswandern zu können, wo Verwandte für ihn gebürgt hatten, um ein Einreisevisum zu erhalten, wurde abgeschlagen. 1939 wurde Rita vier Wochen inhaftiert und floh nach der Freilassung nach Belgien, wo ihre Schwester, Helene Mandelbaum, mit ihrem Mann und den Kindern in Brüssel wohnte. Nachdem die Deutschen auch Belgien besetzt hatten, organisierte Rita für sich und ihr Kind ein sicheres Versteck, doch bei der Verabschiedung von Freunden wurde sie von der Gestapo verhaftet. Stephanie konnte im Durcheinander fliehen und fand nach langem Umherirren die Wohnung ihrer Tante wieder. Diese brachte sie mithilfe des „Comite de defense des juifs“ unter falschem Namen in einem Waisenhaus in Forest unter. Rita Gerszt wurde nach Düsseldorf gebracht und dort wegen angeblicher Devisenvergehen zu vier Monaten Haft verurteilt und saß vom 7. Juni 1940 bis zum 9. Oktober 1940 im Gefängnis. Anschließend kam sie an das KZ Ravensbrück, wo sie laut dem Gedenkbuch für die Opfer von Ravensbrück unter dem Namen Rita Gerozt am 29.Mai 1942 in der T4 Anstalt  Bernburg während der „Aktion 14f13“ ermordet wurde. Die amtlichen Angaben geben als Todesdatum den 30.Juni 1942 an. Nach dem Ende seiner Gefängnisstrafe wurde Yzchok Gerszt in „Schutzhaft“ genommen und nach Auschwitz deportiert. Dort durchlitt er ein Martyrium und wurde auf einem Todesmarsch kurz vor der Befreiung durch die Rote Armee am 13.Januar 1945, so die Sterbeurkunde, ermordet.


Die Tochter des Ehepaars überlebte den Zweiten Weltkrieg, wurde 1944 von Alliierten Truppen befreit und kam in ein Waisenhaus einer jüdischen Organisation, die die Waisenkinder auf die Einwanderung nach Israel vorbereitete. Kurz vor der Abreise nach Palästina meldete sich George Gerszt, ein Onkel aus den Vereinigten Staaten, und sorgte dafür, dass sie im Juni 1948 in die USA einreisen konnte.9


Im Rahmen des Besuchs von Stephanie Gersz in Wuppertal im Juni 2008 beantragten die Grünen mit Unterstützung des Vereins zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal e.V die Benennung der an das Haus Reiterstraße 3 grenzenden Treppe zur Plateniusstraße in „Gerszt-Treppe“.10Der Antrag wurde einstimmig, also auch von den Grünen, abgelehnt. Aus dem Protokoll:


„Der Bezirksbürgermeister teilt mit, dass nach Rücksprache mit dem zuständigen Sachbearbeiter dringend davon abgeraten werde, diese Benennung zu beschließen. So sei diese Familie nur eine von ca. 1200 ermordeten Familien in Wuppertal. Sich hiervon eine heraus zu suchen, sei nicht ratsam.“ 11


Diese Begründung ist unverständlich, da die Bezirksvertretung in der vorangegangenen Sitzung einstimmig beschlossen hatte, eine Treppe am Ostersbaum nach dem Elberfelder Rabbiner Dr.Joseph Norden zu benennen – auch „nur“ einer von vielen Ermordeten aus Wuppertal.12 Dementsprechend wandte sich der Verein zur Erforschung der sozialen Bewegung in einem offenen Bürgerantrag gegen diese Entscheidung und forderte mit zahlreichen Unterzeichnern eine „Rita und Yzchok Gerszt-Treppe“.13
Am 25.Oktober 2008 wurden vor dem Haus Reiterstr.3 zwei Stolpersteine für das Ehepaar Gerszt verlegt.14

Ergänzung vom 17.Juni 2012: 
Eigentlich hätte man das vor der Veröffentlichung noch mal machen können, aber daran habe ich nicht gedacht. Die Gedenktafel, die ich am 5.Februar 2012 fotografiert habe, ist heute nicht mehr an Ort und Stelle. (17. Juni 2012)

Siehe auch die Einträge zu Rita und Yzchok Gerszt im Gedenkbuch Wuppertal:

Rita GersztYzchok Gerszt


Fußnoten:

  1. Offener Bürgerantrag an die Bezirksvertretung Elberfeld, auf www.wuppertaler-widerstand.de (Abgerufen am 31.05.2012)
  2. Stephan Stracke, Wuppertaler Gewerkschaftsprozesse. Gewerkschaftlicher Widerstand und internationale Solidarität, Bremen, Wuppertal 2012.
  3. Auskunft Stephan Stracke, Email vom 31.05.2012.
  4. Julia Perkowski, Eine Reise in die eigene Vergangenheit, in WZ vom 21.Juni 2008
  5. Offener Bürgerantrag an die Bezirksvertretung Elberfeld, auf www.wuppertaler-widerstand.de (Abgerufen am 31.05.2012)
  6. Der AM-Apparat in Wuppertal, auf www.gewerkschaftsprozesse.de (abgerufen am 01.06.2012)
  7. Offener Bürgerantrag an die Bezirksvertretung Elberfeld, auf www.wuppertaler-widerstand.de (Abgerufen am 31.05.2012)
  8. Der AM-Apparat in Wuppertal, auf www.gewerkschaftsprozesse.de (abgerufen am 01.06.2012)
  9. Offener Bürgerantrag an die Bezirksvertretung Elberfeld, auf www.wuppertaler-widerstand.de (Abgerufen am 31.05.2012)
  10. Antrag Grüne-Fraktion in der BV Elberfeld, VO/0254/08. 
  11. Niederschrift der Sitzung der BV Elberfeld vom 02.04.2008. (TOP 12)
  12. Niederschrift der Sitzung der BV Elberfeld vom 05.03.2008 (TOP 7)
  13. Offener Bürgerantrag an die Bezirksvertretung Elberfeld, auf www.wuppertaler-widerstand.de (Abgerufen am 31.05.2012)
  14. Tabelle „Mahnmäler, Gedenkstätten, Erinnerungstafeln zur Zeit des Nationalsozialismus in Wuppertal“, Begegnungsstätte Alte Synagoge, dort Verweis auf Wuppertaler Rundschau vom 29.Oktober 2008.

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