Stolpersteine (2007)

Als sich der Künstler Gunter Demnig 1990 in Köln mit dem 50. Jahrestag der Deportation von Sinti und Roma auseinandersetzte, zeichnete er die Wege der Deportierten mit einer rollbaren Druckmaschine nach. 1992 verlegte er dann einen Stein mit Zeilen des zugehörigen Erlasses vor dem Historischen Rathaus in Köln. Daraus entwickelte sich das zunächst theoretische Kunstprojekt „Größenwahn – Kunstprojekte für Europa“, für das er die Überlegung anstellte sechs Millionen Stolpersteine in ganz Europa zu verlegen. Schließlich wurden in Köln als Beispiel erste Stolpersteine verlegt und seitdem ist der Erfolg des Projektes ungebrochen.1


Seit 2007 werden auch in Wuppertal Stolpersteine verlegt. Getragen wird dies vom Verein Stolpersteine in Wuppertal e.V. Der Jurist Martin Gauger, der Arzt Eugen Rappoport und seine Frau, die Opernsängerin Elsa Rappoport, waren die ersten drei Opfer des Nationalsozialismus, für die in Wuppertal am 7. Januar 2007 von Gunter Demnig einer der 10×10 cm großen Messingsteine im Boden verlegt wurde.2 Sie verzeichnen unter der Überschrift „HIER WOHNTE“ Namen und Lebensdaten der Person, an die gedacht werden soll. Mit dem dezentralen Ansatz soll aufgezeigt werden, dass die Opfer des Nationalsozialismus nicht irgendwelche Menschen waren, sondern in der Nachbarschaft aller lebten und einen Namen hatten.


Vier Stolpersteine vor dem Haus Luisenstraße 124 für Emil und Henriette Hirschberg, sowie Samuel und Sophie Zuckermann.
Vier Stolpersteine vor dem Haus Luisenstraße 124 für Emil und Henriette Hirschberg, sowie Samuel und Sophie Zuckermann.

Das Projekt erfreut sich bis heute großer Beliebtheit und bleibt doch nicht kritikfrei. In München beispielsweise wird bis heute darum gerungen Stolpersteine zu verlegen, der Stadtrat erlaubt es nicht. Der Wuppertaler Rat hatte am 18. Dezember 2006 der Vorlage VO/0814/06 einstimmig zugestimmt. Kritik kommt in Wuppertal z.B. von der Leiterin der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal, Dr. Ulrike Schrader. In 2006 veröffentlichten kritischen Anmerkungen setzte sie sich mit dem Habitus der Stolperstein-Initiativen auseinander, die eine „Wer nicht für mich ist, ist gegen mich Haltung“ einnähmen, ungeachtet der Art der Kritik, die ihnen entgegenschlage. Darüber hinaus habe das Projekt mit dem inzwischen „vorauseilenden Gehorsam moralische ‚funktioniernder‘ Entscheidungsträger“ seinen provokativen Charakter verloren. Es sei nun Teil des Establishments. Ein weiterer Kritikpunkt von Schrader setzt sich mit der Art des Gedenkens auseinander. An die betreffende Person wird erinnert, weil sie Opfer des Nationalsozialismus‘ wurde, die Art des Todes macht sie also erinnerungswürdig, nicht ihr Leben, ihre Biografie. Die Beschäftigung mit den Biografien der Opfern des Nationalsozialismus lehnt sie allerdings nicht ab, denn dies sei ein intensive, fast intime Form des Gedenkens, nur der Stolpersteine leiste genau das nicht. Nur karge Daten lösen kein Erinnern aus. Überhaupt sei dies eine einfache und leichte Form des Erinnerns. Ein weiterer Kritikpunkt – und sicherlich ein wesentlicher – ist das Patenschaftssystem. Da jeder Stolpersteine von einem Paten gekauft wird, verrät dies die mitunter starke Ich-Bezogenheit des Projektes. Man kann einen eigenen Stein kaufen und so seines eigenen Gedenkens gedenken. Dazu kommt die Haltung des Künstlers, der mittlerweile von und für das Projekt lebt und in Wuppertal z.B. Nachahmungen von Schülern untersagte. Die kaum noch übersehbare Masse von Stolpersteinen und die fehlende Hierarchisierung der Opfergruppen führen am Ende zu einer Beliebigkeit des Projekts, so Schrader. Dabei verdrängt es mit seinem marktschreierischem Gehabe anderes, ortsindividuelles Gedenken und eigene Gedenkformen.3

Diese Kritikpunkte sind sicherlich bedenkenswert. Vor allem das Monopol des Künstlers und die „Ablasszahlung“ der Patenschaft, also die Möglichkeit sich seinen Gedenkstein, ja vielleicht sogar sein Opfer, zu kaufen, sind zu kritisieren. Andererseits bieten die Stolpersteine immer noch Anlass zur Diskussion um Erinnerung, um Erinnerungskultur. Dass es eine akzeptierte Form des Gedenkens gibt, muss nicht schlecht sein und am Ende kommt es darauf an, wie die einzelnen Gemeinden mit den verlegten Stolpersteinen und den dahinterstehenden Menschen, Biografien, Leben umgehen. Wenn sie und ihr Schicksal regelmäßig in Erinnerung gerufen werden, wenn sie der Erinnerung dienen und nicht einfach nur unbeachtet im Gehsteig liegen, wenn sie Anlass geben Fragen zu stellen, ist das dezentrale Stolpersteinprojekt als länder- und regionenübergreifende Gedenkform nicht verkehrt.
(Disclaimer: Der Verfasser dieses Eintrages ist war freier Mitarbeiter des Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal.)
Eine Liste der in Wuppertal verlegten Stolpersteine gibt es auf der Homepage des Vereins Stolpersteine Wuppertal e.V. und auf der Homepage der Begegnungststätte Alte Synagoge Wuppertal.

Keine Karte, da dezentrales Mahnmal.


Fußnoten:

  1. Seite „Stolpersteine“. In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 8. Februar 2015, 09:26 UTC. URL: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Stolpersteine&oldid=138607025 (Abgerufen: 8. Februar 2015, 13:39 UTC)
  2. Tanja Heil, Wuppertals Opfer bekommen ihre Namen zurück, in: WZ vom 8. Januar 2007.
  3. Ulrike Schrader, Die „Stolpersteine“ oder Von der Leichtigkeit des Gedenkens. Einige kritische Anmerkungen. in: Geschichte im Westen (21/2006), S. 173-181.

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