Gedenkstein und Gedenkbaum für die in der Landesfrauenklink gestorbenen Kinder von Zwangsarbeiterinnen

Im Jahr 2000 grün­de­ten die Bun­des­re­pu­blik und die Stif­tungs­in­itia­ti­ve der deut­schen Wirt­schaft die Stif­tung „Erin­ne­rung, Ver­ant­wor­tung und Zukunft“ und stat­te­ten sie mit je 10 Mil­li­ar­den DM aus, um ehe­ma­li­ge Zwangs­ar­bei­ter, die im Zwei­ten Welt­krieg von Deutsch­land aus­ge­beu­tet wur­den, zu ent­schä­di­gen. Im Rah­men die­ser Maß­nah­me bekam das Archiv des Land­schafts­ver­bands Rhein­land, als recht­li­cher Nach­fol­ger der Pro­vin­zi­al­ver­wal­tung der preu­ßi­schen Rhein­pro­vinz den Auf­trag ent­spre­chen­de Doku­men­te zu sich­ten und die Namen der Zwangs­ar­bei­ter an die Natio­na­len Stif­tun­gen, die die Ver­tei­lung der Gel­der über­nah­men, zu über­sen­den. Ca. 400 Namen wur­den in den Doku­men­ten gefun­den und wei­ter­ge­lei­tet. Es stell­te sich her­aus, dass von ihnen noch 20 Per­so­nen in der Ukrai­ne,  Weiss­russ­land und Russ­land leb­ten. Ledig­lich aus der Ukrai­ne erhielt der LVR eine Rück­mel­dung, von Frau­en, deren Namen in den Geburts- und Ope­ra­ti­ons­bü­chern der dama­li­gen Lan­des­frau­en­kli­nik Wup­per­tal ver­zeich­net waren. Heu­te gehört die Kli­nik zur “Stif­tung der Cel­li­tin­nen zur hl. Maria” und trägt seit 2012 den Namen St.-Anna-Klinik, nach­dem sie von 1985 — 2011 Kli­nik Vogel­s­ang­stra­ße hieß. 1


2005 wur­de Dr. Bet­ti­na Bou­resh, wis­sen­schaft­li­che Mit­ar­bei­te­rin des Archivs, die sich bereits um die Recher­che der Zwangs­ar­bei­ter geküm­mert hat­te, damit beauf­tragt, ein Besuchs­pro­gramm für das Jahr 2006 vor­zu­be­rei­ten. Eine der Frau­en, die Wup­per­tal besu­chen woll­ten, bat dar­um das Grab ihres Soh­nes sehen zu kön­nen, der als Säug­ling in Wup­per­tal ver­starb. Das Grab konn­te nicht gefun­den wer­den und so mach­ten sich der LVR, die Aka­de­mie für Gesund­heits­be­ru­fe (AFG) als Nach­fol­ge­rin der Heb­am­men­schu­le und die Kli­nik St. Anna Gedan­ken, wie man dem Wunsch des Geden­kens Rech­nung tra­gen könn­te. 2


Gedenk­stein und Gedenk­baum vor der ehe­ma­li­gen Landesfrauenklinik.

Am 20. März 2006 war es schließ­lich soweit: zwei ehe­ma­li­ge Zwangs­ar­bei­te­rin­nen (Lidi­ya Chy­gy­ra und Ali­na Morus3) und eine Toch­ter einer Zwangs­ar­bei­te­rin, die in Wup­per­tal gebo­ren wur­de, (Lju­ba She­wa­ki­no-Seme­nov Niko­lai­ew­na4) kamen in Köln an und wur­den vom LVR dort emp­fan­gen. Sie wur­den von je einem Ver­wand­ten und die Grup­pe wie­der­um von einem Mit­ar­bei­ter der Ukrai­ni­schen Natio­nal Stif­tung beglei­tet. Im Rah­men des 7‑tägigen Besuchs­pro­gramms besuch­ten sie am 22. und 23. März Wup­per­tal. Am ers­ten Tag wur­den die ehe­ma­li­gen Zwangs­ar­bei­te­rin­nen von Ober­bür­ger­meis­ter Peter Jung im Rat­haus begrüßt, der beton­te, dass man Schuld und Ver­ant­wor­tung für das, was den Frau­en gesche­hen war, emp­fin­de. Er bat um Ver­söh­nung der bei­den Län­der. Anschlie­ßend tru­gen sich die Frau­en ins Gol­de­nen Buch der Stadt ein. Da die Gedenk­stun­de, und die Erwar­tung des Kom­men­den die Damen mit­nahm, wur­de kur­zer Hand eine Unter­su­chung in der Kli­nik St. Anto­ni­us ange­ord­net, die ja eben­falls zum Kli­nik­ver­bund der “Stif­tung der Cel­li­tin­nen zur hl. Maria” gehört. Man emp­fahl ange­sichts hohen Blut­drucks eine Ent­span­nungs­pau­se und nutz­te die­se zu einer Schwe­be­bahn­fahrt. Anschlie­ßend wur­de es wie­der ernst. Man besuch­te das Gelän­de des ehe­ma­li­gen Bara­cken­la­gers “In der Fleu­te”, wo heu­te eine Klein­gar­ten­sied­lung zu fin­den ist. Eine der Zwangs­ar­bei­te­rin­nen, Lidi­ya Chy­gy­ra, hat­te hier als 20jährige gelebt und für die Flug­zeug­fa­brik Espen­laub in einem Tun­nel Flug­zeug­tei­le gerei­nigt.  In der Nähe der Bahn-Unter­füh­rung Clau­se­witz­stra­ße, in die jun­ge Frau bei Bom­ben­alarm Schutz such­te, war sie mit ihrem Sohn Vik­tor in einer Mut­ter-Kind-Bara­cke unter­ge­bracht, bis die­ser vor ihren Augen starb und wie ande­ren ver­stor­be­ne Säug­lin­gen dort ver­scharrt wur­de. Als 84jährige kehr­te sie nun an den Ort zurück. In die­ser Mut­ter-Kind-Bara­cke leb­te auch auch Lju­ba She­wa­ki­no-Seme­nov Niko­lai­ew­na mit ihrer Mutter.
Danach besuch­te man das Gelän­de an der Rons­dor­fer Stra­ße, wo Ali­na Morus nach der Geburt ihres Kin­des als 15jähriges Mäd­chen gelebt hat­te. Zuvor hat­te sie in einer Sei­fen­sie­de­rei in Düs­sel­dorf arbei­ten müs­sen.5Sie war bei ihrer Rück­kehr nach Wup­per­tal gera­de 79 Jah­re alt gewor­den.6


Foto­gra­fie: Nico­le Schä­fer LVR-ZMB.

Am 23. März stand ein Besuch in der ehe­ma­li­gen Lan­des­frau­en­kli­nik an, wo die Geschäfts­füh­rer Herr Kauf­mann und Herr Breuck­mann, sowie der Chef­arzt Dr. Falb­re­de die Gäs­te begrüß­ten. Dar­auf folg­te ein Rund­gang durch die Geburts­sta­ti­on, bevor man vor dem Gebäu­de an der Wie­se zur Vogel­s­ang­stra­ße zur Ein­wei­hung des Gedenk­steins schritt. Der Gedenk­stein soll an alle in Wup­per­tal ver­stor­be­nen Kin­der von Zwangs­ar­bei­te­rin­nen erin­nern und natür­lich auch an das ver­stor­be­ne Kind von Lidi­ya Chy­gy­ra. In einer klei­nen Zere­mo­nie wur­de der Gedenk­stein ent­hüllt und der Baum gepflanzt, zu des­sen Wur­zeln die ehe­ma­li­ge Zwangs­ar­bei­te­rin ein wenig ukrai­ni­scher Erde hin­zu­füg­te und deut­sche Erde mit in ihre Hei­mat nahm.7


Foto­gra­fie: Nico­le Schä­fer LVR-ZMB.

Der Gedenk­stein wur­de von der dama­li­gen Assis­ten­tin der Geschäfts­lei­tung, Imb­ritt Neu­mann, mit einem abge­wan­del­ten chi­ne­si­schen Sprich­wort versehen:

Denkst Du an ein Jahr,
dann säe ein Korn.
Denkst Du an ein Jahrzehnt,
dann pflan­ze einen Baum.
Denkst Du an ein Jahrhundert,
dann sor­ge für eine Zukunft
der Kinder.

Wup­per­tal, 23.März 2006“8


Die Inschrift

Die Kos­ten für den Gedenk­stein und den Gedenk­baum (ein Cart­a­e­gus lae­vi­ga­ta — Ech­ter Rot­dorn9) über­nahm die Kli­nik St. Anna. 10

Nach dem Mit­tag­essen folg­te ein Gespräch zwi­schen den Zeit­zeu­gen und Schü­le­rin­nen der Heb­am­men­schu­le. Den Abschluss des Tages und des Besu­ches in Wup­per­tal bil­de­ten ein Besuch in der Ortho­do­xen Kapel­le der Kli­nik und anschlie­ßend ließ man blaue Luft­bal­lons mit Zukunfts­wün­schen in den Him­mel stei­gen.11
Im Anschluss an den Besuch der Zwangs­ar­bei­ter ent­stan­den eine Aus­stel­lung (“Riss durchs Leben”), die seit dem 4.Dezember 2012 eine dau­er­haf­te Hei­mat im Ganz­tags­gym­na­si­um Johan­nes Rau gefun­den hat, eine DVD und ein Buch über die Besu­che des LVR in der Ukrai­ne. Eine Inter­net­sei­te über die Aus­stel­lung “Riss durchs Leben” ist Anfang Dezem­ber 2012 online gegangen.
Zwei wei­te­re Besuchs­grup­pen aus der Ukrai­ne kamen im Juni 2009 und Sep­tem­ber 2010 nach Wup­per­tal und zur Kli­nik. In der Fol­ge ent­stand zwi­schen dem Ganz­tags­gym­na­si­um Johan­nes Rau und der Schu­le Nr. 10 in Chmel­nyz­kyj eine Part­ner­schaft zur Erfor­schung der Zwangs­ar­beit im Rah­men des Jugend­for­schungs­pro­jek­tes “Ges­tern ist heu­te nicht vor­bei. Mor­gen viel­leicht.

Fußnoten:

  1. Mit­tei­lung von Dr. Bet­ti­na Bou­resh vom 06.November 2012.
  2. Mit­tei­lung von Dr. Bet­ti­na Bou­resh vom 06.November 2012.
  3. Val­es­ka von Dolega, Zwangs­ar­beit und Ver­söh­nung, in: WZ vom 27.März 2006.
  4. Val­es­ka von Dolega, Zwangs­ar­beit und Ver­söh­nung, in: WZ vom 27.März 2006.
  5. Bet­ti­na Bou­resh und Nico­le Pient­ka, Bericht über den Ablauf des Besuchs­pro­gramms des Land­schafts­ver­band Rhein­land für ehe­ma­li­ge  Zwangs­ar­bei­te­rin­nen aus der Ukrai­ne 20.–27.März 2006.
  6. Val­es­ka von Dolega, Zwangs­ar­beit und Ver­söh­nung, in: WZ vom 27.März 2006.
  7. Bet­ti­na Bou­resh und Nico­le Pient­ka, Bericht über den Ablauf des Besuchs­pro­gramms des Land­schafts­ver­band Rhein­land für ehe­ma­li­ge  Zwangs­ar­bei­te­rin­nen aus der Ukrai­ne 20.–27.März 2006.
  8. Mit­tei­lung von Imb­ritt Neu­mann vom 12.November 2012.
  9. Mit­tei­lung von Ursu­la Alef, Lei­te­rin Heb­am­men­we­sen der AFG, vom 9. Novem­ber 2012.
  10. Mit­tei­lung von Dr. Bet­ti­na Bou­resh vom 06.November 2012.
  11. Bet­ti­na Bou­resh und Nico­le Pient­ka, Bericht über den Ablauf des Besuchs­pro­gramms des Land­schafts­ver­band Rhein­land für ehe­ma­li­ge  Zwangs­ar­bei­te­rin­nen aus der Ukrai­ne 20.–27.März 2006.