Eine Veranstaltung, die in ihrer Absurdität und Skurrilität ihres gleichen sucht. ” Ein Gastbeitrag zum neuen Engels-Denkmal

Aktu­ell wird es immer noch heiß dis­ku­tiert, das neue Fried­rich-Engels-Denk­mal, heu­te zum Bei­spiel in der West­deut­schen Zei­tung: Engels-Sta­tue: „Das ist weder Kunst noch ein Denk­mal“. Auch die Wup­per­ta­ler Else-Las­ker-Schü­ler-Gesell­schaft hat sich bereits ein­deu­tig kri­tisch geäußert:

Eine “Ehrung” Engels vom Ver­tre­ter einer Dik­ta­tur, die mit allen Mitteln
freie Mei­nun­gen unter­drückt, ist nicht nur eine all­ge­mei­ne Verhöhnung
der wich­tigs­ten Wer­te, die für alle Men­schen glei­cher­ma­ßen gelten,
son­dern auch eine Ver­höh­nung eines Man­nes, den man zu ehren vor­gibt, der
aber selbst erst durch  die Mög­lich­keit und Nut­zung der freien
Mei­nungs­äu­ße­rung zu dem wer­den konn­te, was er spä­ter war. Dafür wür­de er
heu­te in Chi­na inhaf­tiert — so der Vor­sit­zen­de der Else
Lasker-Schüler-Gesellschaft.”

An die­ser Stel­le erscheint des­halb ein Gast­bei­trag von Chris­to­pher Rein­bo­the, der sich mit der Ein­wei­hung des Denk­mals auseinandersetzt:

Engels für Wuppertal

China’s Geschenk

 

Am Mitt­woch ist in Wup­per­tal eine vier Meter hohe Bron­ze­skulp­tur ein­ge­weiht wor­den: Ein Geschenk.Die Volks­re­pu­blik Chi­na schenkt der Geburts­stadt von Fried­rich Engels eine Plas­tik. Ein Abbild des gro­ßen Phi­lo­so­phen. Am 11. Juni war es also soweit: Gro­ßer Bahn­hof für einen gro­ßen Sohn die­ser Stadt. Als guter Kom­mu­nist habe ich mir natür­lich frei genom­men. Die­ses Schau­spiel woll­te ich mir nicht ent­ge­hen las­sen — es hat sich tat­säch­lich gelohnt! Eine Ver­an­stal­tung, die in ihrer Absur­di­tät und Skur­ri­li­tät ihres glei­chen sucht. Deren Viel­schich­tig­keit in poli­ti­schen, his­to­ri­schen und phi­lo­so­phi­schen Fra­gen kaum zu begrei­fen ist. Begin­nend mit einem schein­bar über­pro­por­tio­na­len Poli­zei­auf­ge­bot und nicht ein­mal einer Hand voll (offen­sicht­li­cher) Demons­tran­ten: Tibet, natür­lich. Von den ange­kün­dig­ten Ai-Wei-Wei-Anhän­gern fehl­te jede Spur. Zumin­dest habe ich nie­man­den gese­hen. Zu sehen war aller­dings ein Groß­teil der Wup­per­ta­ler Polit­pro­mi­nenz — ein­hel­lig aller Cou­leur. Vorn­hin­ge­stellt: der Ober-meis­ter Herr Jung, der sich in einer Dank­sa­gung ver­such­te — dabei aller­dings kläg­lich scheiterte.

Engels schwebt über Jour­na­lis­ten. © Chris­to­pher Reinbothe

In einem von Ober­fläch­lich­keit gepräg­ten Geplän­kel ließ er es sich nicht neh­men anzu­mer­ken, dass man Herrn Engels bei uns immer mal wie­der auch »durch­aus kri­tisch« beäugt habe und beäu­ge. Vor dem Hin­ter­grund der Ver­hält­nis­se ›damals‹ wären sei­ne The­sen wohl ver­tret­bar gewe­sen, doch heu­te sind die Arbeits­be­din­gun­gen doch bes­ser — ›jetzt‹ und ›hier‹ bei uns. Und obwohl offen gelas­sen wur­de, ob die Ver­hält­nis­se ›dort‹ schlech­ter sind und wo genau die­ses ›dort‹ denn sein soll­te, trat man mit die­sen spär­lich ver­pack­ten Anspie­lun­gen den edlen Spen­dern in mei­nen Augen ent­schie­den zu nah — oder nicht nah genug? Wie dem auch sei: die Dele­ga­ti­on lächel­te tap­fer wei­ter — wie es so ihre mil­de Art ist. Herr Jung woll­te eine Lan­ze für die sozia­le Markt­wirt­schaft bre­chen: »Es ist nicht alles schlecht! Wir brau­chen die­sen Engels doch bei uns gar nicht.« Es klang wie eine bil­li­ge Recht­fer­ti­gung: War­um und wie­so man — er! — sich nicht mit den Theo­rien eines Marx und Engels beschäf­ti­gen muss. Im Engels­gar­ten mach­te sich Rat­lo­sig­keit breit: soll­ten die Chi­ne­sen ihre Sta­tue wie­der ein­pa­cken? Hier wür­de sie allem Anschein nach tat­säch­lich nicht benötigt.
Einen Aus­weg aus der aus­sichts­lo­sen Posi­ti­on, in die er sich (gedan­ken­los, unwis­sent­lich, trot­zig?) manö­vriert hat­te, such­te er dann in der Wirt­schaft und, auch wenn man sich dort mit den fol­gen­den chi­ne­si­schen Red­nern traf, eigent­lich ist es traurig.
Ein Fried­rich Engels hat soviel mehr ver­dient als Plat­ti­tü­den, die bezeu­gen, dass sich jemand — er! — noch nie mit dem außer­or­dent­li­chen Leben aus­ein­an­der­ge­setzt hat. Es war, als ob ein Blin­der vom Farb­fern­se­hen spricht. Aber was soll­te man von einem wert­kon­ser­va­ti­ven Poli­ti­ker mehr erwar­ten? Er war gera­de­zu dazu ange­tre­ten das Kli­schee der Ableh­nung allen lin­ken Gedan­ken­gu­tes zu beto­nie­ren. Doch zumin­dest etwas mehr Wert, wenn es denn schon kon­ser­va­tiv sein muss­te, hät­te ich mir gewünscht. Mehr­wert. Wert­schät­zung: Des Geehr­ten, der Gäs­te, der Wohl­tä­ter. Von denen tra­ten nun gleich drei an, um zu reden, aber auch hier blieb es nett ober­fläch­lich. Wahr­schein­lich auch der Sprach­bar­rie­re geschul­det, wich man immer wie­der auf die sich anbah­nen­den Tou­ris­ten und die Stär­kung der guten wirt­schaft­li­chen Bezie­hun­gen aus.

Ein­zig der Künst­ler — Prof. Dr. Zeng — wag­te sich etwas wei­ter vor. Er beton­te sei­nen Gruß an die Bür­ger und ver­such­te wenigs­tens kurz zu umrei­ßen was den Reiz eines Engels in Chi­na aus­macht: Wahr­ge­nom­men als Uni­ver­sal­ge­lehr­ter ver­gleich­bar mit unse­ren Her­ren Goe­the und Schil­ler sehen wir im Engels­gar­ten kein Abbild des Fabri­kan­ten­sohn aus Bar­men. Kein Schnapp­schuss aus dem beweg­ten Leben des Revo­lu­tio­närs und Gesell­schafts­theo­re­ti­kers. Viel mehr steht dort ein Mythos: Ein chi­ne­si­scher Sieg­fried. Ein ber­gi­scher Bud­dha. In den asia­ti­schen Kul­tu­ren ist der Über­gang zwi­schen rea­ler Geschich­te und fan­tas­ti­scher Erzäh­lung viel flie­ßen­der, als in unse­rem Kul­tur­kreis. Unser peni­bler Wahn müh­se­lig Rea­li­tät von Fik­ti­on zu tren­nen ver­sperrt uns an die­ser Stel­le einen Zugang. Die­ser knapp vier Meter hohe Titan ist die Geschich­te eines deut­schen Den­kers und Revo­lu­tio­närs, die gen Osten erzählt und dort wei­ter­ge­tra­gen wur­de. Eine Sage für die räum­li­che Ent­fer­nung kei­ne Rol­le spielt, son­dern die auch einem Meis­ter Zeng als Kind­heits­held erhal­ten geblie­ben ist. Die­ser alte Wei­se kann und will sei­ne asia­ti­schen Ein­flüs­se nicht leug­nen: sei es die mar­kan­te Form der Augen und Wan­gen­kno­chen oder sein Gewand. Engels selbst war nie in Chi­na, sein Geist — sein Abbild — ist immer dort und wird dort weitergesponnen.

Sein — durch sein Erle­ben im Deutsch­land des 19. Jahr­hun­derts gepräg­tes — Leben hat nicht nur in Euro­pa, son­dern in Asi­en und auf der gan­zen Welt das Den­ken und Leben vie­ler ande­rer Men­schen bis heu­te beein­flusst. Und auch wenn sich ein Herr Jung dage­gen sträu­ben mag: ohne Engels und Marx und ihre Schrif­ten wären die Arbeits­be­din­gun­gen heu­te hier noch lan­ge nicht so gut. Laut der Welt ist »His­to­ri­sches Bewusst­sein […] das heh­re Ide­al, für das [Muse­ums­lei­ter] Ill­ner brennt«, viel­leicht soll­te er beim OB etwas Nach­hil­fe geben. Wenn wir Engels nicht geden­ken und bewusst wei­ter­den­ken, dann wer­den wir in Zukunft nicht bestehen!
Denn auch wenn ein chi­ne­si­sches Sprich­wort besagt ›Nur groß­ar­ti­ge Orte (wie Wup­per­tal) kön­nen groß­ar­ti­ge Men­schen (wie Engels) her­vor­brin­gen.‹ soll­ten wir dies nicht als gege­ben hin­neh­men, son­dern dar­an arbei­ten sei­nem Bei­spiel zu folgen.

(CC BY-NC-SA 3.0 DE)