Stolpersteine (2002)

2002 enga­gier­te sich der Cro­nen­ber­ger Bezirks­ju­gend­rat für die Akti­on “Stei­ne gegen das Ver­ges­sen” und leis­te­te mit der Ver­le­gung von zwei selbst­her­ge­stell­ten Stol­per­stei­nen für das Ehe­paar Gerszt, die aus Beton, Monier­ma­te­ri­al und einer Mes­sing­plat­te bestehen, sowie einer ergän­zen­den, selbst­kon­zi­pier­ten Aus­stel­lung einen Bei­trag zur Erin­ne­rungs­kul­tur.1


Heu­te sind die Stol­per­stei­ne kaum noch les­bar: Links: HIER WOHNTE / RITA GERST / 14.12.1907 / 8.5.1945 / RAVENSBRUEK Rechts: HIER WOHNTE / IZCHOK GERST / 3.10.1901 / 12.1.1945 / AUSCHWITZ

Am 26. Okto­ber 2002 wur­den vor dem Haus Karl-Theo­dor-Stra­ße 4 unweit von Haus Num­mer 6 in Anwe­sen­heit der Schirm­her­ren, dem Bür­ger­meis­ter Peter Jung und dem Vor­sit­zen­den der Jüdi­schen Gemein­de Wup­per­tal, Leo­nid Gold­berg die Stol­per­stei­ne ver­legt. Die Idee war den Cro­nen­ber­gern bei einer Ber­lin-Rei­se gekom­men, die Anlei­tung hat­te man von der Home­page Gun­ter Dem­nigs, dem Schöp­fer der Stol­per­stei­ne. So ging man im Jugend­haus in der Hän­de­ler­stra­ße ans Werk und ver­leg­te dann die Stei­ne — zum Ärger von Dem­nig, der wei­te­re Aktio­nen unter­sag­te und die Anlei­tung zu sei­nem Pro­jekt von der Home­page lösch­te. Exklu­si­vi­tät war mehr wert als das Erin­nern in Wup­per­tal. Seit 2007 arbei­tet der Ver­ein Stol­per­stei­ne in Wup­per­tal e.V. mit dem Künst­ler zusam­men, der jeden Stein per­sön­lich ver­legt. Ganz exklu­siv. 2
An das Ehe­paar Gerszt erin­nern nun je zwei Stol­per­stei­ne, in der Rei­ter­stra­ße und in der Karl-Theo­dor-Stra­ße. Die 2008 an der Rei­ter­stra­ße ange­brach­te Gedenk­ta­fel wur­de bereits 2012 zerstört.


Yzchok-und-Rita-Gerszt-Gedenktafel

In der Woche vom 19.–25. Juni 2008 war auf Ein­la­dung des Ver­eins zur Erfor­schung der Sozia­len Bewe­gung im Wup­per­tal e.V. Ste­pha­nie Dou­glas-Fur­man, die Toch­ter der Wup­per­ta­ler Wider­stands­kämp­fer  gegen das NS-Regime, Yzchok und Rita Gerszt, zu Gast in Wup­per­tal.1 Der Kon­takt zu ihr war über den His­to­ri­ker Ste­phan Stra­cke zustan­de gekom­men, der wäh­rend sei­ner For­schun­gen2 zu den Wup­per­ta­ler Gewerk­schafts-pro­zes­sen auf das Schick­sal des kom­mu­nis­ti­schen und jüdi­schen Ehe­paars gesto­ßen war und zufäl­lig im Inter­net die Adres­se der Toch­ter gefun­den hat­te.3 Im fer­nen Ore­gon in den USA war man natür­lich über­rascht und zunächst auch skep­tisch, wie denn das Land der Täter heu­te mit ihnen umge­hen wür­de. Zusam­men mit ihrer Toch­ter und ihrem Schwie­ger­sohn wag­te Ste­pha­nie Dou­glas-Fur­man die Rück­kehr in ihre Geburts­stadt, in der ihren Eltern so viel Unrecht wider­fah­ren war. Wäh­rend ihrer Zeit in Wup­per­tal nahm Ste­pha­nie Dou­glas-Fur­man an der Gedenk­fei­er am Mahn­mal des KZ Kem­na teil und besuch­te auch ihr altes Wohn­haus in der Rei­ter­stra­ße Nr.3.4 In die­sem Rah­men wur­de im Juni 2008 eine Gedenk­ta­fel für ihre Eltern gegen­über des Hau­ses angebracht.


Die Gedenk­ta­fel für Yzchok und Rita Gerszt. Foto­gra­fiert am 5. Febru­ar 2012.

Die Gedenk­ta­fel zeigt unter der Überschrift:

 “In Erin­ne­rung an die
Wup­per­ta­ler WiderstandskämpferInnen
Yzchok und Rita Gerszt.

eine Foto­gra­fie des Ehe­paars und erklärt: “[Lin­ke Spalte]

Die Fami­lie leb­te mit ihrer Toch­ter Ste­pha­nie bis 1936 in der Rei­ter­stra­ße 3.
Yzchok und Rita Gerszt waren im jüdi­schen Arbei­ter-Kul­tur­ver­ein und in der KPD orga­ni­siert und betei­lig­ten sich am Wider­stands­kampf gegen die Nationalsozialisten.
Yzchok Gerszt wur­de am 30.Juni 1936 ver­haf­tet und in den “Wup­per­ta­ler Gewerk­schafts­pro­zes­sen” zu 4 Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt. Nach der Haft im Zuchthaus
Sieg­burg wur­de er nach Aus­sch­witz depor­tiert. Dort wur­de er auf dem Todes­marsch am 13.Januar 1943 ermordet.
Rita Gerszt floh mit ihrer 5 jäh­ri­gen Toch­ter nach Bel­gi­en, wur­de dort aber von der Gesta­po ver­haf­tet. Das 5 jäh­ri­ge Kind Ste­pha­nie Gerszt konn­te recht­zei­tig weg­lau­fen und über­leb­te das drit­te Reich ver­steckt in Wai­sen­häu­sern in Bel­gi­en. Rita Gerszt wur­de u.a. im KZ Ravens­brück inhaf­tiert und am 29.Mai 1942 in der Ver­ga­sungs­an­stalt Bern­burg vergast.”


Eine aus­führ­li­che­re Bio­gra­phie fin­det sich im offe­nen Bür­ger­an­trag des Ver­eins zur Erfor­schung der sozia­len Bewe­gung zur Umbe­nen­nung der Trep­pe an der Rei­ter­stra­ße (s.u.):


Dem­nach kam der am 16.Oktober 1901 in Polen gebo­re­ne Yzchok Gerzst 1920 nach Deutsch­land. Er arbei­te­te als Schnei­der und Rei­sen­der (Ver­tre­ter) für eine Her­ren­schnei­de­rei und mach­te sich spä­ter mit einer Lohn­schnei­de­rei selbst­stän­dig. 1924 trat er in die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei ein und enga­gier­te sich im Vor­stand des jüdi­schen Arbei­ter-Kul­tur-Ver­eins, der sei­nen Sitz an der Klotz­bahn hat­te. Ab 1931 arbei­te­te er unter ande­rem mit den Wup­per­ta­ler Wider­stands­kämp­fern Ewald Funke,
Jukiel Gil­berg, Karl Ibach und Fried­rich Sen­ger im AM-Appa­rat (Abtei­lung Mili­tär­po­li­tik) der KPD.5 Der AM-Appa­rat war die nach­rich­ten­dienst­li­che Orga­ni­sa­ti­on der KPD, die von den Ver­haf­tungs­wel­len nach der Macht­über­nah­me der Natio­nal­so­zia­lis­ten kaum betrof­fen war und im Unter­grund wei­ter gegen das NS-Regime kämpf­te. 6 Zu den Auf­ga­ben Gerszts gehör­te es zum Bei­spiel Kon­tak­te zu anti­na­zis­ti­schen Poli­zei­be­am­ten auf­zu­neh­men. Ab 1933 orga­ni­sier­te das Ehe­paar Geld­samm­lun­gen bei jüdi­schen Sym­pa­thi­san­ten zur Finan­zie­rung der AM und Tref­fen des ille­ga­len Appa­rats. Am 30.Juni 1936 wur­de er bei der drit­ten Ver­haf­tungs­wel­le im Rah­men der Gewerk­schafts­pro­zes­se ver­haf­tet7 (zu den Pro­zes­sen sie­he auch den Ein­trag zum Mahn­mal zur Erin­ne­rung an die Wup­per­ta­ler Gewerk­schafts­pro­zes­se). Der gesam­te AM-Appa­rat wur­de von der Gesta­po zer­schla­gen.8 Aus­sa­gen von ande­ren Häft­lin­gen belas­te­ten Gerszt und er wur­de vom Ober­lan­des­ge­richt Hamm zu 4 Jah­ren Gefäng­nis ver­ur­teilt, die er zunächst in Her­ford und Sieg­burg verbrachte.


Rita Gerszt blieb mit der vier Mona­te alten Toch­ter Ste­pha­nie zurück und muss­te allein die um sich grei­fen­de Demü­ti­gung, Aus­gren­zung und Ter­ro­ri­sie­rung der jüdi­schen Bevöl­ke­rung ertra­gen. Am 30.Juni 1939 erhielt sie einen Aus­wei­sungs­be­scheid. Die Bit­te, ihren Mann vor­zei­tig zu ent­las­sen, um mit ihm und dem Kind in die USA aus­wan­dern zu kön­nen, wo Ver­wand­te für ihn gebürgt hat­ten, um ein Ein­rei­se­vi­sum zu erhal­ten, wur­de abge­schla­gen. 1939 wur­de Rita vier Wochen inhaf­tiert und floh nach der Frei­las­sung nach Bel­gi­en, wo ihre Schwes­ter, Hele­ne Man­del­baum, mit ihrem Mann und den Kin­dern in Brüs­sel wohn­te. Nach­dem die Deut­schen auch Bel­gi­en besetzt hat­ten, orga­ni­sier­te Rita für sich und ihr Kind ein siche­res Ver­steck, doch bei der Ver­ab­schie­dung von Freun­den wur­de sie von der Gesta­po ver­haf­tet. Ste­pha­nie konn­te im Durch­ein­an­der flie­hen und fand nach lan­gem Umher­ir­ren die Woh­nung ihrer Tan­te wie­der. Die­se brach­te sie mit­hil­fe des “Comi­te de defen­se des juifs” unter fal­schem Namen in einem Wai­sen­haus in Forest unter. Rita Gerszt wur­de nach Düs­sel­dorf gebracht und dort wegen angeb­li­cher Devi­sen­ver­ge­hen zu vier Mona­ten Haft ver­ur­teilt und saß vom 7. Juni 1940 bis zum 9. Okto­ber 1940 im Gefäng­nis. Anschlie­ßend kam sie an das KZ Ravens­brück, wo sie laut dem Gedenk­buch für die Opfer von Ravens­brück unter dem Namen Rita Ger­ozt am 29.Mai 1942 in der T4 Anstalt  Bern­burg wäh­rend der “Akti­on 14f13” ermor­det wur­de. Die amt­li­chen Anga­ben geben als Todes­da­tum den 30.Juni 1942 an. Nach dem Ende sei­ner Gefäng­nis­stra­fe wur­de Yzchok Gerszt in “Schutz­haft” genom­men und nach Ausch­witz depor­tiert. Dort durch­litt er ein Mar­ty­ri­um und wur­de auf einem Todes­marsch kurz vor der Befrei­ung durch die Rote Armee am 13.Januar 1945, so die Ster­be­ur­kun­de, ermordet.


Die Toch­ter des Ehe­paars über­leb­te den Zwei­ten Welt­krieg, wur­de 1944 von Alli­ier­ten Trup­pen befreit und kam in ein Wai­sen­haus einer jüdi­schen Orga­ni­sa­ti­on, die die Wai­sen­kin­der auf die Ein­wan­de­rung nach Isra­el vor­be­rei­te­te. Kurz vor der Abrei­se nach Paläs­ti­na mel­de­te sich Geor­ge Gerszt, ein Onkel aus den Ver­ei­nig­ten Staa­ten, und sorg­te dafür, dass sie im Juni 1948 in die USA ein­rei­sen konn­te.9


Im Rah­men des Besuchs von Ste­pha­nie Gersz in Wup­per­tal im Juni 2008 bean­trag­ten die Grü­nen mit Unter­stüt­zung des Ver­eins zur Erfor­schung der Sozia­len Bewe­gun­gen im Wup­per­tal e.V die Benen­nung der an das Haus Rei­ter­stra­ße 3 gren­zen­den Trep­pe zur Pla­teni­us­stra­ße in “Gerszt-Trep­pe”.10Der Antrag wur­de ein­stim­mig, also auch von den Grü­nen, abge­lehnt. Aus dem Protokoll:


Der Bezirks­bür­ger­meis­ter teilt mit, dass nach Rück­spra­che mit dem zustän­di­gen Sach­be­ar­bei­ter drin­gend davon abge­ra­ten wer­de, die­se Benen­nung zu beschlie­ßen. So sei die­se Fami­lie nur eine von ca. 1200 ermor­de­ten Fami­li­en in Wup­per­tal. Sich hier­von eine her­aus zu suchen, sei nicht rat­sam.” 11


Die­se Begrün­dung ist unver­ständ­lich, da die Bezirks­ver­tre­tung in der vor­an­ge­gan­ge­nen Sit­zung ein­stim­mig beschlos­sen hat­te, eine Trep­pe am Osters­baum nach dem Elber­fel­der Rab­bi­ner Dr.Joseph Nor­den zu benen­nen — auch “nur” einer von vie­len Ermor­de­ten aus Wup­per­tal.12 Dem­entspre­chend wand­te sich der Ver­ein zur Erfor­schung der sozia­len Bewe­gung in einem offe­nen Bür­ger­an­trag gegen die­se Ent­schei­dung und for­der­te mit zahl­rei­chen Unter­zeich­nern eine “Rita und Yzchok Gerszt-Trep­pe”.13
Am 25.Oktober 2008 wur­den vor dem Haus Reiterstr.3 zwei Stol­per­stei­ne für das Ehe­paar Gerszt ver­legt.14

Ergän­zung vom 17.Juni 2012: 
Eigent­lich hät­te man das vor der Ver­öf­fent­li­chung noch mal machen kön­nen, aber dar­an habe ich nicht gedacht. Die Gedenk­ta­fel, die ich am 5.Februar 2012 foto­gra­fiert habe, ist heu­te nicht mehr an Ort und Stel­le. (17. Juni 2012)

Sie­he auch die Ein­trä­ge zu Rita und Yzchok Gerszt im Gedenk­buch Wuppertal:

Rita GersztYzchok Gerszt