Paul-Kreber-Gedenktafel

Die­ser Ein­trag wur­de am 4. Juli 2012 mit Hil­fe einer neu­en Quel­le (Micha­el Okroy, „… 8 Zigeu­ner­fa­mi­li­en aus der Sied­lung abge­holt.“ Bruch­stü­cke einer Ver­fol­gungs­ge­schich­te der Sin­ti und Roma aus Wup­per­tal, in: Karo­la Frings und Ulrich F. Opfer­manmn (Hg.), Zigeu­ner­ver­fol­gung im Rhein­land und in West­fa­len 1933–1945. Geschich­te, Auf­ar­bei­tung und Erin­ne­rung, Pader­born 2012, S. 279–300.) über­ar­bei­tet. In die­ser fin­den Inter­es­sier­te auch Infor­ma­tio­nen zur Quellenproblematik.

Am 1. Dezem­ber 2000 wur­de im Poli­zei­prä­si­di­um Wup­per­tal eine glä­ser­ne Gedenk­ta­fel für den Poli­zei­be­am­ten Paul Kre­ber ein­ge­weiht. Jener hat­te in der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus die Sin­ti-Fami­lie Weiss und wei­te­re Sin­tis vor der Depor­ta­ti­on geret­tet.1


Gedenk­ta­fel für den Poli­zis­ten Paul Kreber.

Paul Kre­ber wur­de am 10. April 1910 im loth­rin­gi­schen Dieden­ho­fen gebo­ren und absol­vier­te von 1919 bis 1924 die katho­li­sche Volks­schu­le in Bar­men.2 Anfang der 1930er Jah­re fand er eine Anstel­lung bei der Reichs­post in der neu­en Stadt Wup­per­tal, zuvor hat­te einen mehr­jäh­ri­gen Mili­tär­dienst abge­leis­tet. Spä­ter (1939, 3) bewarb er sich bei der Poli­zei und wur­de als Kri­mi­nal-Assis­tent-Anwär­ter ein­ge­stellt und 1941 als Beam­ter in den Erken­nungs­dienst über­nom­men. Hier wur­de ihm die Über­wa­chung und Kon­trol­le der in der NS-Ideo­lo­gie als “ras­si­sche min­der­wer­tig” ange­se­he­nen Sin­ti und Roma zuge­teilt, die damals noch all­ge­mein “Zigeu­ner” genannt wur­den.4

Die Fami­lie Weiß war im Jahr 1939 aus Gel­sen­kir­chen nach Wup­per­tal gekom­men, wo Hugo Weiss direkt eine Anstel­lung fand und die jün­ge­ren Söh­ne einen katho­li­schen Kin­der­gar­ten besuch­ten. Der neun­jäh­ri­ge Paul Weiß absol­vier­te erfolg­reich die Auf­nah­me­prü­fung am Bar­mer Kon­ser­va­to­ri­um. Die Her­kunft der Fami­lie als Sin­ti war nicht offen­sicht­lich. Die Fami­li­en Weiss und Kre­ber leb­ten zunächst in der Nach­bar­schaft und so tra­fen sich Mar­ga­re­the Kre­ber und Anto­nie Weiß zufäl­lig beim Ein­kau­fen. Hugo Weiss ent­schloss sich, zur Siche­rung des Über­le­bens sei­ner Fami­lie sich mit dem für “Zigeu­ner­an­ge­le­gen­hei­ten” zustän­di­gen Kom­mis­sar “anzu­freun­den”. Aus die­ser geziel­ten und zweck­dien­li­chen Kon­takt­auf­nah­me erwuchs eine freund­schaft­li­che Bezie­hung.5


Im Dezem­ber 1942 befahl Reichs­füh­rer-SS Himm­ler die Depor­ta­ti­on der noch im Reich befind­li­chen Sin­ti und Roma in das Ver­nich­tungs­la­ger Ausch­witz-Bir­ken­au. Am 3. März 1943 kam die­ser Befehl in Wup­per­tal zur Aus­füh­rung und neun Fami­li­en wur­den per LKW aus städ­ti­schen Not­un­ter­künf­ten ins Gefäng­nis am Ben­dahl gebracht und von dort zum Bahn­hof. Fami­lie Weiss mit den Söh­nen Paul, Johann, Arnold, Rigo­bert und Hel­mut war aller­dings von der Depor­ta­ti­ons­lis­te gestri­chen wor­den — ver­mut­lich von Paul Kre­ber, der auch eine ande­re Fami­lie warn­te, sodass sie unter­tau­chen konn­te und ande­ren Aus­län­der­päs­se für das besetz­te, aber weni­ger gefähr­de­te Frank­reich ver­schaff­te.6 Kre­ber stell­te den Weiss’ ein gutes Leu­munds­zeug­nis aus, sodass man sich in Ber­lin dazu ent­schied, statt einer Depor­ta­ti­on eine Zwangs­ste­ri­li­sa­ti­on durch­zu­füh­ren. Die Bom­ben­an­grif­fe auf Wup­per­tal im Mai und Juni 1943 ver­hin­der­ten dies jedoch. Anto­nie Weiss wur­de mit den Kin­dern nach Thü­rin­gen eva­ku­iert, wäh­rend Hugo wei­ter in der kriegs­wich­ti­gen Fir­ma Espen­lau­hb arbei­te­te.7 Paul Kre­ber wur­de aus­ge­bombt und ließ sich nach Metz ver­set­zen, wohin er die sie­ben­köp­fi­ge Fami­lie Weiss nach­hol­te und ihnen eine Woh­nung und eine Arbeit im einem Wan­der­zir­kus ver­schaff­te.8 Nach einer Denun­zia­ti­on wur­de Hugo und Anto­nie Weiss von Kri­mi­nal­po­li­zei ver­haf­tet und in einem Straß­bur­ger Kran­ken­haus zwangs­ste­ri­li­siert.9 In den Kriegs­wir­ren ver­lor man sich aus den Augen — Paul Kre­ber wur­de nach Wup­per­tal zurück­ver­setzt — und traf sich 1946 wie­der. Fami­lie Weiss hat­te fast alle Ver­wand­te in Aus­sch­witz ver­lo­ren.10 Die Fami­li­en sind bis heu­te eng befreun­det11 und so ist es kein Wun­der, dass Hel­mut, Paul und Johann Weiss bei der Ein­wei­hung der Gedenk­ta­fel zuge­gen waren und zusam­men für Onkel Paul auf Gei­ge, Kla­vier und Akkor­de­on musi­zier­ten.12


Auch nach dem Krieg setz­te sich Paul Kre­ber unter ande­rem in Wie­der­gut­ma­chungs­ver­fah­ren für Sin­ti und Roma ein. 1966 schied er krank­heits­be­dingt aus dem Poli­zei­dienst aus.13 Unter den Kol­le­gen hat­te er auf­grund sei­nes freund­schaft­li­chen Umgangs mit den Sin­ti und Roma den Spitz­na­men “Zigeu­ner Paul”, den er bereits zur NS-Zeit erhal­ten hat­te, sodass der Mut die­ses Man­nes noch ein­mal höher ein­zu­schät­zen ist, da er sicher­lich genau beob­ach­tet wur­de. 1988, ein Jahr vor sei­nem Tod, erhielt Paul Kre­ber auf Bestre­ben der Fami­lie Weiss und des Zen­tral­rats der Deut­schen Sin­ti und Roma das Bun­des­ver­dienst­s­kreuz für sei­nen Mut, die inner­halb des NS-Ver­fol­gungs­ap­pa­ra­tes vor­han­de­nen Spiel­räu­me für huma­nes Han­deln auch zu nut­zen.14 Nach­dem er lan­ge Jah­re in Bey­en­burg gelebt hat­te, zog er 1984 an den Boden­see, wo er 1989 ver­starb und in Wup­per­tal in Ver­ges­sen­heit geriet.15

Als aber im Som­mer 2000 eine Wel­le rechts­ra­di­ka­ler und ras­sis­ti­scher Gewalt ein­setz­te, begann man sich für Bei­spie­le von Zivil­cou­ra­ge zu inter­es­sie­ren.16 Der Wup­per­ta­ler His­to­ri­ker Micha­el Okroy, Mit­ar­bei­ter der Begeg­nungs­stät­te Alte Syn­ago­ge, war bereits auf die Taten von “Onkel Paul” auf­merk­sam gemacht wor­den und initi­ier­te nun die Stif­tung einer Gedenk­ta­fel im Poli­zei­prä­si­di­um.17
Zur Ein­wei­hung erschie­nen nicht nur, wie bereits erwähnt, die Brü­der Hel­mut, Johann und Paul Weiss, son­dern auch Paul Kre­bers Toch­ter, die mit den Brü­dern Weiss befreun­det ist und Kre­bers Enke­lin, sowie Micha­el Okroy, Ober­bür­ger­meis­ter Dr. Hans Kre­men­dahl und der Haus­herr, Poli­zei­prä­si­dent Klaus Koeh­ler. Neben dem musi­ka­li­schen Andenken erin­ner­te Johann Weiss in einer Anspra­che an Paul Kre­ber.18
Die Gedenk­ta­fel von vorne.

Die Gestal­tung der Gedenk­ta­fel oblag dem Bau- und Lie­gen­schafts­be­trieb des Lan­des NRW, der auch die Kos­ten hier­für als Eigen­tü­mer des Gebäu­des über­nahm. Das Foto stammt von der Begeg­nungs­stät­te Alte Syn­ago­ge, die auch die Inschrift ver­fass­te.19 Die Gedenk­ta­fel besteht aus Glas und zeigt ein sti­li­sier­tes Kreuz aus einer ein­fa­chen waa­ge­rech­ten Linie und einer senk­rech­ten Dop­pel­li­nie. Oben links ist ein Foto Paul Kre­bers zu sehen, dar­un­ter sein Name und das Geburts- und Ster­be­jahr. Unten rechts fin­det sich die Inschrift:


Die Inschrift.

            “Paul Kreber

war von 1940 bis 1943
beim Erken­nungs­dienst der
Kri­mi­nal­po­li­zei im
Poli­zei­prä­si­di­um Wuppertal
tätig.

Unter Ein­satz sei­nes Lebens
und des sei­ner Fami­lie be-
wahr­te er im Früh­jahr 1943
meh­re­re Wup­per­ta­ler Sinti-
Fami­li­en vor der Deportation
in das Vernichtungslager
Ausch­witz-Bir­ken­au, indem er
Befeh­le nicht aus­führ­te, Ver-
ste­cke beschaff­te und den
Ver­folg­ten zur Flucht ver-
half.

1988 wur­de Paul Kre­ber auf
Vor­schlag des Zentralrats
der deut­schen Sin­ti und Roma
das Bundesverdienstkreuz
verliehen.

Sein aus­ser­or­dent­lich mutiges
Han­deln soll uns allen zum
Vor­bild für Zivil­cou­ra­ge und
Mensch­lich­keit dienen.”


Am sel­ben Tag wur­de im glei­chen Flur eine Gedenk­ta­fel für im Dienst gestor­be­ne Poli­zis­ten der Öffent­lich­keit ohne Zere­mo­nie über­ge­ben. Sie ist eine Reak­ti­on auf Kri­tik aus den Rei­hen der Poli­zei, dass nun zwei Tafeln an die NS-Zeit erin­nern und mah­nen, aber die jün­ge­re Geschich­te der Poli­zis­ten ver­ges­sen werde.


Fußnoten:

  1. Andre­as Spie­gel­hau­er, Musik und eine Tafel für “Onkel Pauls” Mut, in: WZ vom 2. Dezem­ber 2000.
  2. Micha­el Okroy, 1943: Zivil­cou­ra­ge im Ver­fol­gungs­ap­pa­rat, in: WZ vom 10. April 2000.
  3. Micha­el Okroy, „… 8 Zigeu­ner­fa­mi­li­en aus der Sied­lung abge­holt.“ Bruch­stü­cke einer Ver­fol­gungs­ge­schich­te der Sin­ti und Roma aus Wup­per­tal, in: Karo­la Frings und Ulrich F. Opfer­manmn (Hg.), Zigeu­ner­ver­fol­gung im Rhein­land und in West­fa­len 1933–1945. Geschich­te, Auf­ar­bei­tung und Erin­ne­rung, Pader­born 2012, S. 279–300.
  4. Micha­el Okroy, Ein stil­ler Held, in: Frank­fur­ter Rund­schau vom 29.3.2003.
  5. Micha­el Okroy, „… 8 Zigeu­ner­fa­mi­li­en aus der Sied­lung abge­holt.“ Bruch­stü­cke einer Ver­fol­gungs­ge­schich­te der Sin­ti und Roma aus Wup­per­tal, in: Karo­la Frings und Ulrich F. Opfer­manmn (Hg.), Zigeu­ner­ver­fol­gung im Rhein­land und in West­fa­len 1933–1945. Geschich­te, Auf­ar­bei­tung und Erin­ne­rung, Pader­born 2012, S. 279–300.
  6. Micha­el Okroy, Ein stil­ler Held, in: Frank­fur­ter Rund­schau vom 29.3.2003.
  7. Micha­el Okroy, „… 8 Zigeu­ner­fa­mi­li­en aus der Sied­lung abge­holt.“ Bruch­stü­cke einer Ver­fol­gungs­ge­schich­te der Sin­ti und Roma aus Wup­per­tal, in: Karo­la Frings und Ulrich F. Opfer­manmn (Hg.), Zigeu­ner­ver­fol­gung im Rhein­land und in West­fa­len 1933–1945. Geschich­te, Auf­ar­bei­tung und Erin­ne­rung, Pader­born 2012, S. 279–300.
  8. Micha­el Okroy, Ein stil­ler Held, in: Frank­fur­ter Rund­schau vom 29.3.2003.
  9. Micha­el Okroy, „… 8 Zigeu­ner­fa­mi­li­en aus der Sied­lung abge­holt.“ Bruch­stü­cke einer Ver­fol­gungs­ge­schich­te der Sin­ti und Roma aus Wup­per­tal, in: Karo­la Frings und Ulrich F. Opfer­manmn (Hg.), Zigeu­ner­ver­fol­gung im Rhein­land und in West­fa­len 1933–1945. Geschich­te, Auf­ar­bei­tung und Erin­ne­rung, Pader­born 2012, S. 279–300.
  10. Micha­el Okroy, „… 8 Zigeu­ner­fa­mi­li­en aus der Sied­lung abge­holt.“ Bruch­stü­cke einer Ver­fol­gungs­ge­schich­te der Sin­ti und Roma aus Wup­per­tal, in: Karo­la Frings und Ulrich F. Opfer­manmn (Hg.), Zigeu­ner­ver­fol­gung im Rhein­land und in West­fa­len 1933–1945. Geschich­te, Auf­ar­bei­tung und Erin­ne­rung, Pader­born 2012, S. 279–300.
  11. Micha­el Okroy, Ein stil­ler Held, in: Frank­fur­ter Rund­schau vom 29.3.2003.
  12. Andre­as Spie­gel­hau­er, Musik und eine Tafel für “Onkel Pauls” Mut, in: WZ vom 2. Dezem­ber 2000.
  13. Micha­el Okroy, „… 8 Zigeu­ner­fa­mi­li­en aus der Sied­lung abge­holt.“ Bruch­stü­cke einer Ver­fol­gungs­ge­schich­te der Sin­ti und Roma aus Wup­per­tal, in: Karo­la Frings und Ulrich F. Opfer­manmn (Hg.), Zigeu­ner­ver­fol­gung im Rhein­land und in West­fa­len 1933–1945. Geschich­te, Auf­ar­bei­tung und Erin­ne­rung, Pader­born 2012, S. 279–300.
  14. Micha­el Okroy, Ein stil­ler Held, in: Frank­fur­ter Rund­schau vom 29.3.2003.
  15. Micha­el Okroy, 1943: Zivil­cou­ra­ge im Ver­fol­gungs­ap­pa­rat, in: WZ vom 10. April 2000.
  16. Micha­el Okroy, NS-Archi­tek­tur: Das Poli­zei­prä­si­di­um Wup­per­tal als loka­le “Topo­gra­fie des Ter­rors”, in: Tri­bü­ne 41 (2002), Heft 163, S. 268.
  17. Andre­as Spie­gel­hau­er, Musik und eine Tafel für “Onkel Pauls” Mut, in: WZ vom 2. Dezem­ber 2000.
  18. Andre­as Spie­gel­hau­er, Musik und eine Tafel für “Onkel Pauls” Mut, in: WZ vom 2. Dezem­ber 2000.
  19. Aus­kunft Micha­el Okroy, Email vom 26. Mai 2012.